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Offener Brief an Bundeskanzler Karl Nehammer

Betrifft: Kiews Drohung, Österreichs Energiesicherheit zu gefährden

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
 

im Herbst 2023 kündigte der Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogas Olexij Tschernyschow an, mit Ende Dezember 2024 den Transit russischen Erdgases durch die Ukraine stoppen zu wollen. Österreichs Gasversorgung hängt im Frühjahr 2024 zu über 90% von genau diesem Gas ab, das seit 1968 verlässlich nach Baumgarten fließt. Mir sind bisher keine Bemühungen von österreichischer Seite bekannt, die Ukraine von diesem Vorhaben abzubringen. Es wäre indes höchst an der Zeit.

Mit diesem Schreiben erlaube ich mir, Sie an Möglichkeiten zu erinnern, die Gefährdung der österreichischen Energiesicherheit durch die im Krieg mit Russland befindliche Ukraine abzuwehren. Dazu bitte ich Sie, ich die folgenden fünf Maßnahmen in Erwägung zu ziehen.

1 Einbestellung des ukrainischen Botschafters durch Außenminister Alexander Schallenberg, um dem Botschafter unsere Lage auseinanderzusetzen und die Bedeutung russischen Erdgases für Österreich hervorzuheben. Dabei müsste auch klargestellt werden, dass gute zwischenstaatliche Beziehungen, wie sie zwischen Österreich und der Ukraine bestehen und weiter wünschenswert sind, nicht einseitig zuungunsten eines Partners ausgenützt werden dürfen. Es kann nicht sein, dass Österreich hunderte Millionen Euro an Hilfsgeldern für die Ukraine ausgibt und Zigtausende ukrainische Flüchtlinge beherbergt und unterstützt, und gleichzeitig die Ukraine Österreich von seiner wichtigsten Energiequelle abschneidet.

2 Starten einer diplomatischen Offensive in Richtung Budapest und Bratislava (sowie Rom), um eine gemeinsame Position gegen das Vorhaben Kiews zustande zu bringen. Vor allem Ungarn und die Slowakei sind in ähnlichem Ausmaß wie Österreich von russischem Gas abhängig, das über die Ukraine in unsere Länder geführt wird.

3 Werben um Verständnis für Österreichs Position in Brüssel. In dieser Hinsicht könnte sich nach den Europawahlen Anfang Juni 2024 die eine oder andere Möglichkeit eröffnen, die EU-europäische Ostpolitik nicht einzig und allein auf einer Gegnerschaft zu Russland aufzubauen. Weder die EU noch einzelne Staaten und schon gar nicht Österreich befinden sich im Krieg mit Russland. Auch hier wäre es notwendig, die Verantwortlichen daran zu erinnern, dass zwischenstaatliche Beziehungen von gegenseitigem Respekt und einer Ausgewogenheit der Interessen bestimmt sein sollten. Milliarden-Hilfen in Richtung Kiew können dort nicht mit Eingriffen z.B. in die Energie-Infrastruktur beantwortet werden, die für mehrere EU-Staaten äußert schädlich sind.

4 Kommunizieren des ukrainischen Vorhabens ohne die seit ein paar Jahren üblichen anti-russischen Einlassungen. Es ist nicht Moskau, das die Gasversorgung Österreichs unterbricht, sondern Kiew, das – nebenbei bemerkt – gut an den Transitgebühren verdient.

5 Kommunizieren potenzieller österreichischer Mittel, seine energiepolitischen Interessen gegenüber der Ukraine zu wahren. Dies sollte im Rahmen einer medialen Offensive geschehen. Österreich könnte im Gegenzug zu dem von Kiew beabsichtigten unfreundlichen Akt seine Hilfe für die Ukraine aussetzen, eine verstärkte Prüfung der Hilfen für ukrainische Flüchtlinge ankündigen und seine Stimme (ev. gemeinsam mit Ungarn und der Slowakei) in EU-Gremien einbringen, um weitere Sanktionen gegen Russland, die seit zehn Jahren nicht den gewünschten Erfolg bringen, zu verhindern sowie bestehende Sanktionen schrittweise abzubauen.

Ich hoffe, dass Sie mit meinen Ideen zur Wahrung österreichischer energiepolitischer Interessen etwas anfangen können und verbleibe hochachtungsvoll

Dr. Hannes Hofbauer, Publizist & Verleger