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Marterbauer und Meinl-Reisinger: Die Doppelmaske der österreichischen Regierung

Friedrich Dürrenmatt über „Romulus der Große“:
„Es ist nicht ein Stück gegen den Staat, 
aber vielleicht eines gegen den Großstaat.“

Es war der ausdrückliche Wunsch des Andreas Babler, welcher Markus Marterbauer zum Finanzminister gemacht hat. Er hätte dafür sogar einen Konflikt mit seiner eigenen Partei riskiert. 

Andreas Babler war seinerzeit das Haupt der sogenannten STAMOKAP-Fraktion in der SPÖ. Diese Gruppe jüngerer SP-ler wollte ihre Partei nach Links verschieben. Was aber ist / war der Inhalt, der diese Personen verband? Was ist STAMOKAP in der politischen Realität?

Markus Marterbauer hat ziemlich viel geschrieben, vor allem, bevor er der Chef der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien wurde. Man kann so unschwer herausfinden, wofür er stand (und steht?). Und daraus wieder sollten sich Hinweise auf Bablers wirtschaftspolitische Linie finden lassen: Der steht j,a laut österreichischen mainstream-Medien, weit links…

Marterbauer definierte sich, jedenfalls seinerzeit, als Keynesianer. Damit sind wir termi­nologisch zuerst einmal einigermaßen weg vom „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“. Das ist schon ein bisschen auffällig. Oder ist diese STAMOKAP der Babler-Richtung vielleicht gar nichts Anderes als ein altmodischer Keynesianismus? Besser umgekehrt: Ist STAMOKAP womöglich gar ein verkleideter Keynesianismus?

Mitten in der Finanz- und €-Krise stellte Marterbauer eine Diagnose, welche eine Reihe von Schlagworten damaliger Kritiker aufzählt. Aber die wesentliche Ursache dieser Krise erwähnt er vorerst nicht einmal: die Währungsunion – und die EU im Allgemeinen. Und der Finanzminister von 2025 tadelte damals, dass „die wirtschaftspolitische Debatte“ sich ausschließlich auf „die Konsolidierung des Budgets“ beschränkt (Marterbauer 2011). „Diese Sichtweise entspricht dem neoliberalen Zugang…“ (17). Und heute?

Es kommen die Rezepte. Das wichtigste ist: „eine starke Zentralisierung der Steuer- und Sozialpolitik … innerhalb der EU“ (66). Speziell den Defizit-Ländern in Südeuropa legt er als „institutionelle Basis, … einen Wandel im Lohnverhandlungssystem“ ans Herz: „Die Schaffung von Einheitsgewerkschaften und koordinierten Lohnverhandlungen nach österreichischem oder skandinavischem Vorbild könnte helfen, die Lohnpolitik gesamt­wirtschaftlich auszurichten“ (65). Offener ausgedrückt und ohne langes Geschwafel über „die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Gewerkschaften“ heißt das: Die Arbeiter und Angestellten und besonders die etwas kämpferischen unter ihnen müssen diszipliniert werden, so wie es die österreichischen Gewerkschaften vormachen.

Das also ist der Keynesianismus des Herrn Marterbauer, und nicht nur seiner: Die Politik des STAMOKAP von heute muss systematisiert und international durchgesetzt werden. Dazu taufen wir sie Keynesianismus. Und nochmals: Mitten in der Euro-Krise schafft er es, den Euro in der Diagnose für Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, überhaupt nicht zu erwähnen.

Immer wieder sagte Marterbauer in den letzten Wochen: Er fürchtet sich nicht vor einem EU-Defizitverfahren. Das ist absolut verständlich. Dieser Prozess soll ihm schließlich helfen, seine Politik des Drucks auf die Löhne und Gehälter zu steigern und durchzuset­zen. Das ist nur die konsequente Haltung, die rundum in der politischen Klasse die Grundlage jeden Vorgehens ist. Schon vor drei Jahrzehnten hat der heutige Bundespräsi­dent gesagt: Wir müssen der EU beitreten, weil wir allein mit innenpolitischen Mitteln, also demokratisch, unsere Ziele nicht durchsetzen können, die „Reformen“ nicht durch­bringen. Damit befand er sich in völliger Übereinstimmung mit seinen ehemaligen Parteifreunden Vranitzky und Lacina.

Aber man muss diese Politik auch absichern. Die EU ist gut. Noch besser aber wäre ein NATO-Beitritt. Dafür ist nun eine andere Charaktermaske dieser Regierung zuständig. Meinl-Reisinger, aus „bürgerlich-grünem“ Ärzte-Elternhaus (Eigendefinition) hat sich in Krems („Lehrgang Europäistik“) und direkt in Brüssel beim Herrn Karas indoktrinieren lassen. Sie weiß also, was zu tun ist. Und nun will sie sich, nach US-Vorbild offenbar, wo dies üblich ist, als Intellektuelle profilieren. Sie hat vor den Wahlen noch ein Buch ge­schrieben oder vermutlich schreiben lassen. Im Gegensatz zu Marterbauer, der versucht, uns mit Zahlen und Daten zu blenden, finden wir hier vor allem Bla-bla.

Der bisherige Auenminister, Schallenberg, war ein typisches Produkt der außenpoliti­schen Bürokratie. Der handelte nach Aufträgen. Er bekam die aus der Brüsseler Büro­kratie und damit indirekt aus Berlin. Die hat er dann vollzogen, auf Biegen und Brechen.

Meinl-Reisinger ist ein anderer Typ. Sie ist eine Janitscharin. Die höhere Tochter handelt aus innerster Überzeugung. Ihr Vorbild ist ganz offenbar die Estin Kallas, die sogenannte „Außenbeauftragte“ der EU, deren Möchtegern-Außenministerin. Das müsste doch für Meinl-Reisinger auch zu machen sein…

Was ansteht, ist die „Normalisierung“ Österreichs (© Anton Pelinka – und zwar affirma­tiv). Es geht um die vollständige Unterordnung des Landes unter die westeuropäische und US-Anordnungen. (Letztere stehen inzwischen im argwöhnischen Zwielicht bei den westeuropäischen Kompradoren.) Jede Spur einer eigenständigen und selbstbestimmten Regung soll erstickt werden. Der NATO-Beitritt ist dafür als Symbol überragend wichtig, noch wichtiger als wegen der realen Folgerungen. Die sind ohnehin schon weitgehend vorweg genommen. Der NATO-Anschluss ist der letzte notwendige Schritt jener Politik, die Vranitzky, Mock und Schüssel in den 1990ern durchgesetzt haben. Vergessen wir nicht: Die eigentliche Abkehr von der Neutralität erfolgte bereits 1990 / 91, als Vorleis­tung auf den EG-Anschluss. Dieser Anschluss wurde schließlich 1994 / 95 vollzogen. Er bedeutete die Installierung der Dritten Republik. Als Haider sie damals proklamierte, konnte sich die damalige politische Klasse furchtbar erregen. War es, weil er das Geheimnis offen ausplauderte?

Nun wird der nächste Schritt fällig. Aber eine Vierte Republik wird es nicht mehr geben. Es wird schlicht die Auslöschung jener österreichischen Existenz sein, welche 1945 mit der Abwendung vom Nazi-Reich entstanden ist.

Die Interessen „im Hintergrund“ stehen keineswegs mehr im Hintergrund. Meinl-Reisin­ger vollzieht sie, und zwar mit Zustimmung von ÖVP und SPÖ. Das ist der entscheiden­de Punkt. Denn wie wurde eine solche Person Außenministerin in der ÖVSPÖ-Regie­rung? Man hätte sie ja nicht dringend gebraucht. Die Antwort ist trivial-einfach: Gerade für die ÖVP sind die Neos wichtig. Sie entstanden schließlich aus dem neoliberalen Flü­gel der ÖVP. Sie repräsentieren das, was die ÖVP-Führung will, aber häufig nicht zu sagen wagt, aus innerparteilichen Gründen und auch aus Angst vor der eigenen Massen-Basis – falls man von einer solchen noch sprechen kann. Pensionsalter 70? Wollen wir nicht, steht nicht auf der Tagesordnung, sagt Wöginger. NATO-Beitritt? Kein Thema für uns, sagt Stocker. Das überlassen sie Meinl-Reisinger. Sekundiert wird diese z. B. von Emil Brix, vor langer Zeit Busek-Sekretär, Fast-Bildungsminister und heute Direktor der Diplomatischen Akademie. Und die unsägliche Figur in der Hofburg ist natürlich mit von der Partie: Eben hat er – bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele – weitere Aufrüstung und eine „europäische“ Armee gefordert.

Bei diesen Manövern nimmt die ÖVP sogar in Kauf, dass ein Teil ihres alten neoliberalen Flügels dauerhaft weg bricht. Das Klasseninteresse ihrer Auftraggeber gebietet es.

Und die SPÖ? Da steht es nicht so unähnlich. Vergessen wir auf Babler. Der ist endlich Vizekanzler und Sportminister und damit zufrieden. Aber der Wiener Kern der Partei besinnt sich offenbar auf seine Wurzeln. Die aber waren, mit einer Unterbrechung für zwei Jahrzehnte, deutschnational. Heute heißt dies natürlich: „europäisch“. Doch um den Rest der Partei zusammenzuhalten, will man sich nicht zu stark exponieren. Man ist ohnehin schon mit dem Widerspruch beschäftigt, die woken Gruppen und die Reste der Arbeiter-Basis zu halten. Auf nationaler Ebene sind die Arbeiter sowieso schon fast zur Gänze bei der FPÖ. Aber auf Betriebsebene hat der ÖGB noch eine Basis, und die will er nicht unnötig gefährden. Andererseits bieten sich die Grünen als die wendigeren Progres­siven an, auch wenn sie derzeit noch damit beschäftigt sind, die Scherben ihrer Politik in der ÖVP-Regierung zusammen zu kehren. Aber grundsätzlich könnte man das Verhältnis zu ihnen sehen, wie jenes der ÖVP zu den Neos.

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Zur Erklärung: Der Wachstumsknick für Österreich ist unübersehbar. Legt man Trendlinien hinein, wird es auch zahlenmäßig abschätzbar. Österreich war bis zur Euro-Krise „auf der Überholspur“, wie es Journalisten ausdrücken. Inzwischen hinkt es deutlichst nach.

 

Die vorige Bundesregierung hat das Land einigermaßen kaputt gemacht. Corona-Wahn­sinn und Wirtschafts-Krieg gegen Russland haben die Finanzkrise 2008 ff. und die politische Selbstaufgabe, symbolisiert im Vertrag von Lissabon, nochmals getoppt. Nun bieten Marterbauer und Meinl-Reisinger ihre Rezepte an, und die politische Klasse steht hinter ihnen. Sie stellen zusammen die wahre Charaktermaske dieser Regierung dar. Ob Österreich nach dem Ablauf dieser Regierung noch existieren wird, ist die große Frage.

 

Marterbauer, Marcus (2011), Zahlen bitte! Die Kosten der Krise zahlen wir alle. Wien: Deuticke.

Meinl-Reisinger, Beate (2024), Wendepunkt. Wie wir das wieder hinkriegen. Wien: Kremayer & Scheriau