Giorgia Meloni und Alice Weidel verkörpern als Leitgestalten eindringlich eine neue Fusion des neoliberalen Gegenwarts-Autoritarismus (des „Technofaschismus“) und des vergangenheitsbezogenen alten Autoritarismus, des seinerzeitigen National-Faschismus und seiner Nachfolge, des Neofaschismus.
„Von Giorgio zu Giorgia“ fasste die Meloni ihren Weg selbst unnachahmlich zusammen. Es war ihr persönlicher Weg, der Weg ihrer Partei und ihrer ganzen Tendenz. Der Neofaschismus des Giorgio Almirante (1914 – 1988) war programmatisch nichts Anderes als der alte Faschismus ohne Mussolini. Aber er war gezähmt durch den neuen Staat und seine internationalen Einbindungen. Durch diese Zähmung, dadurch, dass der MSI sie akzeptierte und, im Wesentlichen, nicht zur Gänze, auf den alten Squadrismus verzichtete, wurde er eine Partei unter anderen. Als solche hatte er eine Wählerschaft von 4 – 8 % der Bevölkerung, deutlich unter einem Zehntel.
Am Ende dieses Wegs stand die Übernahme der Politik des Mario Draghis, des Reichskommissars der EU in Italien. Das war nur folgerichtig: Die FdI sind heute eine Partei, welche Funktion und Wählerschaft der alten Christdemokraten zu übernehmen bestrebt sind. Die letzten Wahlen in den Regionen, etwa in den Marchen, zeigen, dass ihnen dies nicht schlecht gelingt. Hier liegt auch die Erklärung dafür, dass Meloni und die FdI seit drei Jahren in den Umfragen geradezu festgefroren sind auf einen Wert von um die 30 % herum. Dabei ergibt die Zufriedenheitsfrage ebenso lang bereits eine deutliche Mehrheit der Unzufriedenen mit der Ministerpräsidentin.
Der politische Weg der Alice Weidel schien fast gegenteilig zu verlaufen. Sie begann als harte neoliberale Ökonomie-Absolventin und Angestellte bei Goldmann-Sachs, gewissermaßen als jüngere Kollegin von Friedrich Merz. Mit und in der AfD wurde sie zur Rechtspopulistin. Wurde sie das wirklich? Sie akzeptierte die plebeischen, faschistoiden Elemente in ihrer Partei, weil sie ihrem eigenen Aufstieg mit ihrem populistischen Auftreten durchaus nützten, und damit ihrer eigenen Karriere-Planung. Sie braucht den Populismus für den politischen Erfolg. Aber ist sie deswegen selbst auch eine Populistin?
Wenn wir eine europäische Tendenz beschreiben wollen, wäre hier noch Marine Le Pen anzuschließen. Die macht eher die Kurve der Meloni. Ob sie noch eine Zukunft hat, ist ungewiss. Nicht nur hat der neoautoritäre französische Staat sie mit lächerlichen Argumenten ins „rechtsstaatliche“ Visier genommen. Sie ist auch „zu alt“: Sie ist bereits seit gut drei Jahrzehnten im politischen Geschäft.
Inhaltlich steht Weidel eindeutig und bekennend auf neoliberalen „bürgerlichen“ Positionen. In einem Interview mit der Weltwoche (13. Sept. 2025) lässt die „erfolgreiche Ökonomin“ – so der Interviewer – darüber auch keinerlei Zweifel offen: „…ein bürgerliches Programm wie das der AfD …[setzt] auf ökonomischen, gesellschaftspolitischen und energiepolitischen Sachverstand.“ Das sind die Phrasen, wie wir sie vom Kartell der regierenden politischen Klasse auch täglich hören. Und damit ist es keineswegs eine Floskel, wenn sie unterstreicht: „Unser Programm ist bürgerlich“. Als eine ihrer ersten Maßnahmen an der Macht benennt sie: „Steuern drastisch senken – Einkommenssteuer, Unternehmenssteuer, Mehrwertsteuer – und den Bundeshaushalt radikal kürzen.“ Damit steht sie in der Kontinuität zu den Gründern der AfD, welche ja auch neoliberale Professoren gewesen waren. Und sie steht auf den Positionen des zentristischen mainstreams. Auch außenpolitisch steht sie bereit für eine zentristische Regierung. Sie leitete in den letzten Wochen schon so etwas wie eine Wende mit dem Blick auf Russland und den EU-Krieg ein, sogar in öffentlichem Widerspruch zu Aussagen ihres Vorstands-Kollegen Chrupalla. Das Zögern des konservativen mainstreams, der CDU, ihr gegenüber dürfte vor allem bezwecken, dass sie weitere Positionen, welche einen Anflug von Kritik beinhalten, aufgibt und sich vollkommen unterwirft – wie Meloni. Wenn wir also Meloni die alten Christdemokraten in neuer Form, als neue konservative Partei, wiederbeleben sehen – warum sollte dies nicht auch das Ziel einer Weidel-AfD sein? Auch in Österreich scheint bereits die FPÖ sich anzuschicken, die Rolle der ÖVP zu übernehmen. Die Betonung der „christlichen Werte“, schon seit Längerem, deutet stark darauf hin. Freilich ist Kickl viel stärker Ideologe als Weidel. Und überdies: Ob die alte Freiberufler-Schicht der FPÖ da auf Dauer mitgeht, ist nicht so ganz sicher.
Meloni hat den Beweis für ihren bürgerlich-konservativen Ansatz bereits erbracht. Sie hat in allen entscheidenden Feldern voll und ganz die Politik Draghis übernommen. Und wenn wir weiter gehen: Marine Le Pen wird z. B. von der Ikone eines gewissen europäischen Philosemitismus, von Beate Klarsfeld, in den Himmel gehoben: Denn sie beweist sich als extremistische Zionistin. Das wird heute von einer Mehrheit europäischer Juden – jedenfalls von einer übergroßen Mehrheit ihrer organisierten Sprecher (Oskar Deutsch wurde von 94 % in seine Funktion gewählt) – als Beweis dafür verlangt wird, dass man nicht Antisemit ist.
Aber sofort stellt sich zwei Fragen: Wenn es sich so verhält, warum treffen diese Kräfte auf solchen Zuspruch bei den europäischen Unter- und Unteren Mittelschichten? Und warum treffen sie auf die geradezu mörderische Feindschaft der hegemonialen Gruppen?
Der Rechtspopulismus ist alles Andere als eine Einheit, sozial und politisch. Er hat einen plebeischen Flügel, welcher das Erscheinungsbild bestimmt und einen Gutteil der frustrierten Bevölkerung anspricht. Eine Reihe von Zielen – darunter angeblich Frieden, Anti-Elitismus und Anti-Intellektualismus, …, Anti-Globalismus – dient dazu, die Interessen und Identitäten jener Mehrheit der Bevölkerung zu mobilisieren, die inzwischen ihre politische Repräsentanz verloren hat. Von daher rührt denn auch die Wut der hegemonialen Gruppen, welche diese Populismen gegenwärtig als Hauptfeind betrachten. Wenig Wunder: Die ehemalige Linke ist ja weitgehend zum Schoßhündchen der Herrschenden verkommen.
Aber zumindest in der zweiten Reihe verzichtet dieser Populismus nicht auf den Bezug zum alten Faschismus. In Italien, wo diese Gruppen stets die Kontinuität damit betont haben, ist dies besonders sichtbar.
Giovanni Gentile war Theoretiker der Faschisten, von dem auch ihre Losung “credere, obbedire, combattere” (glauben, gehorchen, kämpfen) stammte. Er war Unterrichtsminister, der eine extrem reaktionäre Politik gegen die Unterschichten, gegen die Öffnung des Bildungssystems betrieb. – Im April 2024 widmete ihm die italienische Post eine Sondermarke. Auf wessen Betreiben?
Diese Briefmarke und ihre Rechtfertigung durch Adolfo Urso, „Unternehmensminister“ der FdI sowie auch durch andere ähnliche Kräfte ist mustergültig für das Package der Rechtspopulisten: Sie greift auf eine Symbolgestalt des Faschismus zurück, charakterisiert ihn aber als „wichtigen nationalen Intellektuellen“.
Damit stellt sich die entscheidende Frage für jene schwachen Kräfte, die sich noch in der Tradition der alten Linken und ihrer Politik für und von Unten sehen: Wie stellt man sich zu diesen Parteien, in welchen sich inzwischen der Großteil des Proletariats und der Unterschichten finden, und die gerade deswegen von Oben so erbittert bekämpft werden?
„Querfront“?
Eine historische Reminiszenz, bei uns und in der alten Arbeiterbewegung fast unbekannt, soll den Einstieg bilden.
Im September 1866 übernahm in einem Volksaufstand eine breite Koalition gegen die Piemontesen und ihre dünne Unterstützungs-Schicht aus gehobenen Bürgern für wenige Tage die Macht in Palermo, damals und heute Hauptstadt von Sizilien. Ihr fragmentarischer Leitungs-Ausschuss bestand formal aus alten bourbonischen Adeligen und aktiven Linken und Anarchisten. Nach wenigen Tagen wurde das „italienische“ (piemontesische) Heer gegen sie in Bewegung gesetzt. Mit Tausenden von Opfern – ausschließlich unter den plebeisch-proletarisch-bäuerlichen Schichten – wurde diese sizilianische Commune erledigt. Diese Verbindung zwischen alten Oppositionellen und dem Volk gegen die neue Bürokratie aus dem Norden war eine wirkliche Verbindung von konservativen Adeligen mit linksradikalen Aktivisten. Es ging gegen die damals herrschende liberale Bourgeoisie.
Im deutschen „Bauernkrieg“ machte das aufständische Volk den Versuch, mit Teilen der bisherigen alten und bedrohten Eliten zusammenzuarbeiten. Bauernhaufen verbündeten sich mit Rittern und machten diese sogar teilweise zu Kommandanten. Aber sie wurden von ihnen zum Großteil verraten. Diese Art von „Querfront“ scheiterte also völlig.
Wiederum in Sizilien gab es vor sechs Jahrzehnten eine Episode, die in Italien ziemlich Aufsehen erregte und unter der Bezeichnung Milazzismo durch die Blätterwelt ging: Ein Regionalpräsident wurde mit den Stimmen von KPI und MSI gegen die bisher tonangebenden Christdemokraten gewählt. Die Christdemokraten setzten daraufhin alle Mittel ein, von der Mafia bis zu den Bischöfen und den Vatikan und dessen Staatssekretär (Außenminister) Ottaviani selbst. Zusammen brachten sie in der Art eines Bandenkriegs diesen Versuch zum Scheitern. Es ist kein Zufall, dass Leonardo Sciascia gelegentlich einmal vom „ewigen Milazzismo“ in Sizilien spricht. Denn alle diese Versuche finden in schlecht entwickelten Gesellschaften statt, wo der „Fortschritt“ sich gegen den Großteil der Bevölkerung wendet. Dann verbünden sich die Unterschichten mit Teilen der alten Eliten gegen die neuen Eliten, die sich nun als die fortschrittliche Mitte der Gesellschaft aufspielen und damit legitimieren.
Die operazione Milazzo wurde vom kleinen und mittleren Kapital in Sizilien korrupt genutzt und kam ihm schließlich auch zugute. Die KPI mit ihrem sizilianischen Capo Macaluso ließ sich infolge Opportunismus und Naivität über den Tisch ziehen. Aber der Versuch, die DC abzudrängen, machte prinzipiell Sinn! Das zeigt allein ihre panische Reaktion auf regionaler, nationaler und „internationaler“ Ebene – nicht nur der Vatikan mischte sich offiziell ein, ebenso einige (!) Geheimdienste. Liest man die Berichte über das Verhältnis von Sizilien bzw. ganz Süditalien zu den nördlichen Zentren, kommt einem ständig die heutige BRD und ihr Verhältnis zur Ex-DDR in den Sinn. Die Parallelen zur Gegenwart sind, wie immer, das Interessanteste daran: Die Struktur des Ablaufs erinnert frappant an die Situation in Ostdeutschland und das Verhalten der AfD einerseits, des parlamentarisch noch dominanten Zentrums (CDU, SPD, „die Linke“) andererseits – und vielleicht auch das ungeschickte Agieren des BSW in Thüringen und Brandenburg.
In der bürgerlichen Entwicklung – man zögert, von bürgerlichen „Revolutionen“ zu sprechen – des 19. Jahrhunderts zog sich die Unterdrückung immer wieder den Mantel des „Fortschritts“ über. War es da verwunderlich, dass dann die Unterdrückten sich im Namen des Alten Rechts gegen diesen „Fortschritt“ stellten? Dass sie sich oft sogar „konservativ“ gebärdeten?
Und wieder einmal sind wir dort. Die intellektuellen und journalistischen „Fortschrittler“ machen auch gar kein Geheimnis aus ihrer Haltung und ihren Zielen. Sie sprechen von den Verlierern dieses Fortschritts, von den Zurück-Gebliebenen. Und wieder wenden sich jene, die keine politische Repräsentation mehr haben, an Kräfte, die ihnen eine Alternative vorgaukeln.
Heute stellt das Vokabel Querfront ein Reizwort für die „links“-liberalen und für den ganzen zentristischen Radikalismus dar. Das ist keineswegs ein Zufall. Querfront heißt – man sollte eher sagen: sollte heißen – der Aufbau eines neuen Klassenverbandes aus jenen, welche die Politik des globalistischen und neoliberalen Zentrismus an den Rand drängt. Hier liegen aber auch die Grenzen einer solchen Strategie: im feinen Unterschied zwischen „heißt“ und „sollte heißen“. Denn: Die Sprecher der Rechtspopulisten sind vor allem daran interessiert, die Privilegien und Ziele ihrer eigenen Schicht samt deren ideologischen Abdeckungen in ihren Identitäten zu retten. Und wenn sie tatsächlich bereits eine gewisse realistische Aussicht auf Regierungsbeteiligung oder gar Regierungsführung haben, verwandeln sie sich sehr schnell in gewöhnliche konservative Parteien. Der Blick auf Meloni und Weidel und Le Pen solle dies zeigen. Mit diesen Figuren ist eine Querfront sicher nicht möglich. Damit entfällt im Grund die Basis für eine Querfront.
Aber es bleibt ein Problem, taktisch und strategisch. Dass man in aller Nüchternheit in Einzelfragen mit diesen Kräften abstimmen kann, müsse eine Selbstverständlichkeit für einen rationalen Menschen sein. Dass die zentristischen Kräfte dann panisch reagieren, spricht deutlich dafür und nicht dagegen. In diesem Sinn hat Wagenknecht voll und ganz Recht. Dass Oskar Lafontaine regelmäßig in der „Weltwoche“, einem rechten Kampfblatt, schreibt, ist ein Grenzfall, aber auch nicht grundsätzlich abzulehnen.
Und strategisch? Im Zuspruch, den die Rechtspopulisten bei den Arbeitern, dem neuen Dienstleistungsproletariat und einem Teil des Kleinbürgertums finden, zeigt sich auch das Bedürfnis nach einer neuen politischen Repräsentation dieser Schichten, dieses Klassenverbands. Darin liegt auch der wesentliche Grund für die Furcht der Zentristen und ihrer journalistischen Sprecher, der Grund für ihre Wut, wenn man die Chancen einer solchen Strategie auch nur andeutet.
Freilich sind die realen Chancen derzeit nicht sonderlich hoch. Der konkrete Weg ist überaus mühsam und schwierig. Er geht ziemlich sicher über die Enttäuschung der auf sie hoffenden Bevölkerungs-Segmenten nach Regierungs-Beteiligungen und Erfolgen solcher Parteien. Die FPÖ ist bereits zweimal regelrecht zusammengebrochen – aber sie hat sich, mangels an für die Bevölkerung plausiblen Alternativen, auch wieder erholt!
Der entscheidende Punkt ist: Die alte Linke hat ihren Charakter als Vertreterin der Unterschichten vollständig verloren. Wer heute von „links“ spricht, denkt sofort an die woken Sprecher der oberen Mittelschichten, deren Klassen-Interessen diametral jenen der Arbeiter, unteren Angestellten und auch der sonstigen Unteren Mittelschichten gegenüber stehen. Wagenknecht hat in dem Sinn Recht, wenn sie meint, dass die Bezeichnung „links“ nicht mehr taugt für jene, die sich nicht in diesem mainstream bewegen. Sie hat in dem Sinn Unrecht, als sie nicht dazu sagt: Die Ziele und Grundsätze der alten Linken haben voll und ganz ihre Gültigkeit bewahrt. Es gilt, sie neu umzusetzen.
Es gilt also den Aufbau einer neuen Bewegung für den Verband der neuen Unterschichten – und derjenigen, welche sich nicht an die Klassen-Identitäten und -Interessen der Oberen Mittelschichten gebunden fühlen, auch wenn sie selbst dazu gehören. „Die Leute meiner Klasse gefielen mir nicht“, hat Brecht einmal gesagt.
Allerdings ist dies eine Aufgabe für Jahrzehnte. Auch die alte Arbeiter-Bewegung ist nicht über Nacht entstanden. Und es ist eine Aufgabe, an die man nicht mit den historischen Schemen heran gehen kann, welche wir in der Götter-Dämmerung der alten Linken nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem in den 1960ern übernommen haben. Freilich, eine Tabula rasa, eine leere Vergangenheit, gibt es nicht und darf es auch nicht geben. Aber man muss die eigene mögliche Rolle einschätzen können.
19. Oktober 2025