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Sehnen nach dem Frieden

Rede bei Friedens-Mahnwache anlässlich des virtuellen Auftritts von Herrn Selenskyj im österreichischen Parlament

FRIEDE

 

"Ich begrüße Sie in Österreich, Herr Selenskyj,

Sie sprechen in ein paar Minuten im österreichischen Parlament. Vor dem Parlament sprechen heute Menschen aus Österreich, viele von ihnen wünschen sich: Frieden. Ich begrüße Sie in Österreich mit Friedenswünschen. 

Über Geheimdienste aller Nationen, über die NATO, über die Rolle der USA und Deutschlands in diesem Krieg, über die Minsker Verträge, über Präsident Putin und über den Maidan, über die Ursachen des Putsches und die Scharfschützen, über die Krim, die Kirche, Rohstoffe, Hegemonie, über Waffenlieferungen, Angriffskriege und über das Recht auf Verteidigung wurde bereits geredet. Auch über die Geschichte der Ukraine und den Zustand der jetzigen Ukraine, über Nazis und mögliche Faschisten, über die Schlachtfelder und Zerstörungen, über Depleted Uranium, das das Grundwasser Ihres Landes hunderte Jahre vergiften wird, über die Wehrpflicht in der Ukraine und in Russland, über die daraus folgenden demagogischen Konsequenzen dieses Krieges, über die Tausenden von unschuldigen Toten, die für ihr Land gestorben sind, für Werte wie Freiheit und Demokratie haben schon viele gesprochen. Es schmerzt mich zutiefst. Über Sie und über die Rolle Österreichs und ihre Neutralität, über Ihre Wünsche an Österreich, über ihre politischen und vermutlich auch persönlichen Bedürfnisse haben bereits viele vor mir gesprochen. Ich möchte diese Themen nur kurz erwähnen, ich möchte über den Frieden sprechen.

Wir sehnen uns nach Frieden. Tausende Menschen sehnen sich.

Wir sehnen uns nach Verhandlungen. Wir sehnen uns nach Dialog. Wir sehnen uns nach Waffenstillstand. Wir sehnen uns nach dieser großen Erleichterung, nach diesem Tag, diesen Wochen und Monaten, wo für den Frieden gearbeitet wird.

Frieden. Viele von uns glauben nicht mehr an Siege und nicht an Niederlagen. Frieden kommt nicht nach einem Sieg. Frieden kommt nicht nach einer Niederlage. Kriege werden nicht gewonnen. Kriege verursachen: Leid. Der 102 jährige Vater eines Freundes, im II Weltkrieg aktiv, sagte seiner Familie am Sterbeplatz: „Krieg, 20 Jahre später wieder Krieg. Auch wenn wir ihn gewonnen hätte, was bleibt ist: Leid.“

Jahrelanges Leid. Hunderte Jahre Leid … transgenerativ. Sprachlosigkeit vieler vom Krieg zurückgekehrter Männer. Lebensunfähigkeit. Suizid. Drogen. Alkohol. Obdachlosigkeit. Wahnsinn. Lieblosigkeit. Leblosigkeit. Verkrüppelungen. Körperlich und seelisch. Berufsunfähigkeit. Drogen. Drogen. Drogen. Hunderte Soldaten begingen bereits Selbstmord nach Ende von Kampfhandlungen. Tausende Soldaten wurden psychologisch betreut, Kriege können nicht gewonnen werden. Kriege erzeugen: nachhaltige Verstrahlungen in den Familienstrukturen, zerstörerische, psychologische Gammawellen, Wirrnis, Verzweiflung, oft endlose Qualen, wiederkehrende Träume mit schreienden und sprachlosen Schuldgefühlen, Traumata bis zum Schluss, tief, tief, tief vergraben, die Katastrophen der Kriege lassen alles in der Bedeutungslosigkeit verschwimmen.

Menschen beten.

Tausende, Hunderttausende Menschen beten. 

Wir beten. 

Menschen in Österreich beten. Für unsere Neutralität und für unseren Staatsvertrag wurde gebetet. Tausende Menschen beteten. Im Flugzeug nach Russland, in einer russischen Militärmaschine auf dem Weg nach Moskau sagten Freunde des ersten österreichischen Bundeskanzlers nach dem Zweiten Weltkrieg, Julius Raab: „Der Raab schloft …“ Er antwortete: „I schlof net, i bet.“

Es bildeten sich weltweit Gebetsgemeinschaften für den Frieden. 

Auch jetzt beten wir.

Für vieles … für viele Details, für Frieden.

Insgeheim, tief in den Seelen, still, persönlich, auch in Gruppen, öffentlich, tief und tief beten Menschen.

Einige beten für Sie, Herr Selenskyj.

Manche beten für einen Sieg. Andere für diese oder jene Niederlage. Vielleicht sogar für den Tod des einen oder anderen. Vielleicht beten sie auch für Rache. Wegen der Schmerzen, wegen des Leids. Wegen der Ohnmacht. Wegen der unsagbaren Verluste. Wegen der verlorenen Kinder, Brüder, Schwestern, Väter, Mütter.

Herr Selenskyj, ich kann im Herzen nur an den Frieden denken. Es kommt mir nur der Frieden in den Sinn. Ich möchte Ihnen sagen, in Österreich denken tausende Menschen an den Frieden. Sie glauben nicht an Waffen. Frieden entsteht durch Zurücktreten von der Logik der Gewalt. Durch Zurücktreten von der Logik der Zerstörung. 

Dutzende Menschen auf der Welt schlagen Friedenspläne vor. Strategien, Lösungen. Hunderte Menschen denken in Europa über ein Europa jenseits militärischer Sicherheitsarchitektur nach. Sie haben sich in „Sicherheit neu denken“ zusammengeschlossen. Sicherheit neu denken in Deutschland besteht aus insgesamt 150 Organisationen. Das ist unsere Zukunft. Mit Ihnen, Herr Selenskyj, mit der Ukraine. Mit Russland. Mit China. Mit Indien. Mit Brasilien. Mit Japan. Mit den USA … Eine Welt in Frieden. 

Es gibt andere Wege aus diesem schrecklichen Krieg als immer neue Waffen und immer mehr Opfer und getrennte Familien, immer mehr zerstörte Städte und Dörfer.

Unsere transgenerativ traumatischen Kriegserfahrungen sollen nicht umsonst gewesen sein - wir sollten für Frieden, für Neutralität, für Abrüstung einstehen. Warum ist das so schwer? Wenn ich ehrlich sein soll, geht es mir nicht nur um unsere eigene Neutralität, sondern um weltweite Neutralität. Wie schön wäre das? Nur mehr neutrale Länder, die sich gegenseitig in Frieden lassen. 

An Frieden zu denken, um das Herz immer wieder darauf einzustellen und im eigenen Umfeld die Beziehungen „zu ölen“. Friede hat tatsächlich etwas mit Training zu tun. Die Gründerin einer christlichen Bewegung, Chiara Lubich, sagte: das Intelligenteste ist, immer wieder neu zu beginnen.

Diese Rede wurde mit Inspiration einiger Friedens-Liebender Menschen geschrieben.

 

Johanna Tschautscher

Ursula Danner

Reiner Steinweg

Heinrich Wohlmeyer

Erich Pello

Elisabeth Thaler

Erwin Thaler

 

Aufruf zur Friedensmahnwache