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Der österreichischen „Links“-Liberalismus und Anton Pelinka

Vor wenigen Tagen haben die hiesigen Eliten ihren wichtigsten Sprecher verloren

In den 1980ern und auch noch in den Jahren danach spielten zwei Personen eine prominente Rolle in der österreichischen Debatte um Vergangenheit und Gegenwart des Landes. Die liberale Katholikin Erika Weinzirl (1925 – 2014) war von Hertha Firnberg schließlich doch noch zur Professorin in Wien gemacht worden, obwohl diese eigentlich unbedingt einen konservativen deutschen Sozialdemokraten wollte.

In der medialen Aufmerksamkeit wurde sie allerdings schnell in den Schatten gestellt und schließlich verdrängt von Anton Pelinka (1941 – 2025). Das war kein Zufall. Weinzirl blieb ihrem Österreich-Patriotismus – ohne Habsburg-Mythologie und Dollfuß-Sympathie – treu. Sie wurde nie zur EU-Propagandistin. 

 

 

Ganz anders Anton Pelinka.

1990 hatte er ein Buch publiziert (Zur österreichischen Identität. Zwischen deutscher Vereini­gung und Mitteleuropa. Wien: Ueberreuter), in dem er noch über den Drang der österreichischen Politik in die EG spöttelte. 1994 dagegen war er bereits Mitglied eines Vereins eines gewissen Rudolf Burger, der sich militant für den Anschluss an eben diese EG / EU einsetzte. Als ich dies erfuhr – ich hatte vorher eine Rezension über das Buch geschrieben –  und ihn entgeistert darauf ansprach, sagte er, ziemlich wörtlich: „Ich habe gesehen, dass sich dies nicht verhindern lässt, und da denke ich, ist es besser mitzugestalten.“ 

Reiner Opportunismus also? Das greift zu kurz. Pelinka war der typische Linksliberale, welcher seine Schwierigkeiten mit der Bevölkerung und ihren Stimmungen hatte. Aber die politische Rolle dieses Linksliberalismus änderte sich. Und deswegen sprechen wir dies hier an.

 

 

Sehen wir uns einige wichtige Themen-Felder an!

Vor rund zwei Jahrzehnten organisierten zwei Lehrbeauftragte des Instituts für Politikwissen­schaft – also jenes Instituts, für das Pelinka stand, auch wenn er damals gerade nicht Vorstand war – eine Exkursion für Studenten nach Israel / Palästina. Einer davon war John Bunzl, an den sich vermutlich die meisten noch erinnern. Dabei besuchten sie auch ein Palästinenser-Lager. Pelinka wer außer sich, wie kaum jemals sonst: „Damit macht man diese jungen Leute für ihr Leben zu Antisemiten!“ Also: Wenn man Menschen die Wirklichkeit in Israel ungeschminkt vor Augen führt, verursacht man „Antisemitismus“. Wir wissen, dass diese Haltung unter den inzwi­schen nicht mehr hegemonialen, wohl aber herrschenden Gruppen und Schichten in Österreich und natürlich auch in Deutschland gang und gäbe ist; dass sie dazu dient, jede Kritik am völker­mörderischen Regime in Israel mit Staatsgewalt zu unterdrücken und zu verbieten. Es war also keineswegs die Neurose eines wegen möglichen Antisemitismus besorgten Bürgers oder Aufklärers. Es war und ist das genaue Gegenteil: Gegenaufklärung. 

Klarer kann man diese Tendenz nicht ausdrücken. Pelinka war der Liebling des ORF, der von ihm immer zu hören bekam, was er hören wollte und vor allem: was die Zuhörer / Zuseher hören sollten. Nicht zufällig hat eine der ORF-Gesichter, Armin Wolf, jetzt einen höchst freundlichen Nachruf verfasst. Aber die Hegemonie bröckelt gewaltig. Die Macht über die Medien reicht inzwischen nicht mehr aus. Heute wird diese Tendenz mit den Mitteln der Staatsgewalt durch­gesetzt. Gerade eben ist in Berlin wieder eine Demonstration zuerst verboten und dann unter Einsatz von massiver Polizei-Gewalt unterdrückt und aufgelöst worden. Wer nicht in die bedingungslose Apologie der Israelo-Faschisten einstimmt, ist „antisemitisch“. Pelinka aber war ein führender Kopf dieser Richtung.

Pelinka wurde uns stets als jemand vorgestellt, der für die Demokratie in Österreich stand. Aber in kleinem Kreis konnte er ziemlich ironisch vortragen, was er unter Demokratie verstand: Die Leute sollten die Wahl haben und abstimmen, ob sie im Gemeindebau die Türen gelb oder blau streichen wollen. Und mit größerem Ernst fügte er hinzu: „Gott behüte uns vor der Herrschaft der Mehrheit!“

Überhaupt Österreich. Für uns ist die Frage der nationalen Selbstbestimmung von hochrangiger Bedeutung. Dazu aber ist die Voraussetzung die nationale Zugehörigkeit. Pelinka hat immer wieder hervorgehoben, und zwar ganz augenscheinlich mit einem gewissen Stolz: „Ein indischer Politikwissenschaftler steht mir entschieden näher als eine Lesachtaler Bäuerin.“ Was heißt dies? Klasse geht vor Nation! Die globale Klassenzugehörigkeit schlägt die soziale Solidarität mit den Unterschichten auf nationaler Ebene. – Das ist eine exakte Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse in den herrschenden und hegemonialen Schichten der Gegenwart. Warum dies dann hervorheben? Weil Pelinka dies nicht in einem analytischen Sinn gesagt hat, sondern auf affirmative Weise.

Was nun den Antifaschismus betrifft, so haben wir seine Bemerkung: Das Dollfuß-Schuschnig-Regime sei das kleinere Übel gegenüber dem Hitlerismus gewesen. Aber kann man damit nicht einverstanden sein? Auch hier müssen wir wieder hinter die Zeilen steigen. Für mich klingt dies nicht viel anders als die Rechtfertigungs-Versuche des seinerzeitigen Herrn Kindermann für den Austrofaschismus: Dollfuß sei der erste Widerstandskämpfer gegen Hitler gewesen – und das meinte dieser klar und eindeutig als Rechtfertigung für die Politik von Dollfuß und seinem Nachfolger.

Vielleicht noch eine Anmerkung zur Person, die für die bisherige Sicht recht wichtig sein könnte: Anton Pelinka war das, was man in Wien einen „Blitz-Gneiser“ nennt. Er begriff sehr schnell bedeutsame Entwicklungen. Aber er machte sich selten die Mühe, sie durchzudenken. Da die intellektuelle Welt in Österreich großteils vor den Deutschen auf dem Bauch liegt, ist ein Ver­gleich nicht unnütz. Pelinka hatte in Österreich eine Position, die wir sinnvoll mit Großprofes­soren in der BRD wie Habermas vergleichen sollten. Aber ich sagte schon: in Österreich.

Seine Ausstrahlung blieb durchaus auf Österreich beschränkt. Das hängt eng mit zwei miteinan­der verbundenen Hintergründen zusammen. Zum Einen wirkt eine halbkoloniale Situation des Landes gegenüber der BRD. Die österreichischen Intellektuellen und Politiker unterwerfen sich seit fast zwei Jahrhunderten willig unter diese Abhängigkeit. Österreicher werden daher in der BRD nur zur Kenntnis genommen werden, wenn sie dorthin emigrieren; und Leute mit Minihirn wie ein ehemaliger Grün-Abgeordneter im EU-„Parlament“ war noch stolz darauf, dass deutsche Grüne ihn dort für sein eifriges Kopfnicken als klugen Kopf bezeichnete. Das wiederum wirkt zurück. Das war stets die Grundlage des österreichischen Deutschnationalismus, seit dem 19. Jahrhundert. Heute nennt man diesen umgefärbten Deutschnationalismus „Europa-Gesinnung“. Zum Anderen ist der deutsche Intellektualismus anders strukturiert. Das deutsche Herrenmen­schentum ist auf der Ebene der Bevölkerung weitgehend Geschichte. Aber auf der Ebene der Politik und ebenso, vielleicht sogar noch stärker auf der akademischen und intellektuellen Ebene blüht und gedeiht es wie seit eh und je.

Hier hat Anton Pelinka eine spezifisch persönliche Haltung gezeigt: Er hat erkannt, dass dieses intellektuelle Herrenmenschentum in der BRD selbst eine deutliche Abhängigkeit kaschieren muss. Nämlich: vom großen Bruder jenseits des Ozeans. Das wiederum ist ein Reflex der faktischen Verflechtung mit dem US-Kapital. Die größten Eigentümer bzw. Akteure an der deutschen Börse sind heute die US-Vermögensverwalter, und einer von ihren zeitweiligen Akteuren ist heute deutscher Bundeskanzler. Pelinka hat zwar nicht in diese Richtung geschaut – das interessierte ihn nicht oder wenig. Aber er hat die deutsche intellektuelle Unterwürfigkeit gegenüber den USA mit einiger Ironie zur Kenntnis genommen. Seine eigene Haltung war, wie er sich – selbstironisch – ausdrückte: „Die Deutschen übernehmen ihre Grundgedanken von den Amerikanern. Da wende ich mich lieber gleich selbst ohne Umwege an die Amerikaner.“ Und das war keine Ironie mehr, sondern globalistische Konsequenz und Realität.