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Österreichische Leitkultur und österreichische Werte

Politiker und Politikerinnen müssen keine Intellektuellen sein. Die Konservativen aber haben da eine besondere Tradition. Legendär wurde der Ausbruch eines christlich-sozialen Wiener Politikers. „Wenn i a Büachl sieg, hob i scho g’fressen“ hat einst Hermann Bielohlawek in den Gemeinderats-Saal gebrüllt. Kultur sei das, meinte er, was ein Jude vom anderen abschreibe.

Man ist bezüglich intellektueller Qualität irgendwie an den Abgeordneten Hanger erinnert.

Aus dieser Kultur des Stammtisches will also die Frau Minister Raab die „österreichische Leitkultur“ machen. Auf diese „österreichischen Werte“ sollen also alle Zuwanderer verpflichtet werden. Frau Raab ist natürlich kein solcher Rüppel wie der Herr Bielohlawek. Sie hat ein Studium hinter sich, war sogar Universitäts-Assistentin, dann gepflegte Spitzen-Beamtin.

Von welchen Zuwanderern spricht sie da? Denkt sie an die Frau Annette Mann, AUA-Chefin, die, wie der Großteil der österreichischen Immigranten, aus der BRD kommt und uns einmal richtig zeigen will, was Klassenkampf von Oben ist? Oder denkt sie an die Masse der Ukrainer, die uns im Sinne des Bandera-Faschismus endlich wieder Kriegstüchtigkeit beibringen wollen?

Und die österreichischen Werte? Die Demokratie? Die Neutralität? Drei Viertel der österreichi­schen Bevölkerung (74 %) sprechen sich nach einer jüngsten Umfrage für die Neutralität aus. Ja: Sie ist wirklich Teil der österreichischen Identität. Aber der österreichische Außenminister lässt die Flagge eines kriegsführenden Landes, einer völkermörderischen Regierung auf seinem Amtsgebäude hissen. Die Bundesregierung überweist Milliarden für Waffen an die Ukraine. Vor drei Jahrzehnten wurde der seinerzeitige Außenminister Gratz wegen Neutralitätsgefährdung angeklagt. Nach den damaligen Standards müsste Schallenberg längst hinter Gittern sitzen. - „Krieg ist Frieden“ spricht in „1984“ der öffentliche Redner vor einer zusammengetriebenen Menschenmenge. Dort sind wir wieder angelangt. Das „Friedensprojekt EU“ will auch offiziell ein Militärbündnis werden. 50 Milliarden an Waffen soll der Ukraine zukommen, damit die den EU- und NATO-Krieg weiterführen kann und ihre männliche Bevölkerung zur Schlachtbank treibt…

Zurück zur Frau Raab.

Wir wissen ja Bescheid über die gewaltige Heuchelei der Herrschenden. Man hat fast Schwierig­keiten, die Ministerin Raab unter diese Kategorie einzuordnen. Sie war von der ÖVP zur jüngsten Sektionschefin der Republik gemacht worden, bevor Kurz sie als eine Marionette in jenem Chor der Ja-Sagerinnen holte, mit denen er sich umgab. Sie kommt also, wie auch Schallenberg, aus der Bürokratie. Das besagt heute: Sie ist hauptsächlich den Spitzen-Bürokratinnen und –Bürokra­ten in Brüssel und Frankfurt verpflichtet. Wir kennen dies: Täglich sind vom Wiener Flughafen eine Reihe von Beamten unterwegs nach Brüssel. Der „Pyjama-Bomber“ hieß dies eine Zeitlang. Denn es musste früh losgehen, damit diese nationalen Bürokraten in Brüssel oder wo immer ihre Anweisungen einholen können und möglichst am selben Tag wieder zurückfliegen. Im Rang sind sie gestiegen, die Damen und Herren Raab und Schallenberg und Edtstadler, und … und …; aber der Rest hat sich nicht geändert: Sie bekommen ihre Anweisungen von Oben, wenn  nicht von Brüssel, so von Berlin.

Nun aber nähern sich wieder Wahlen. Die ÖVP steht in den Umfragen an dritter Stelle. Sie agiert mittlerweile oft genug schon in Panik. Also versucht die Partei, auch jene einzusetzen, welche noch weniger beschädigt sind, einfach, weil man sie kaum kennt. Ein ausgesprochenes Atout ist Raab für ihre Partei zwar nicht, traut man den Umfragen diverser Intelligenzblätter („heute“, oe24) zum Politiker-Ranking. Doch immerhin, mit dem Frauen-Bonus kann man es probieren. Und da versucht Raab sich auf einige der Themen der FPÖ zu setzen.

Die FPÖ war ja bekanntlich eine deutschnationale Kampftruppe. Dann hatte Haider gemerkt, dass die damaligen noch größeren Parteien das Österreich-Thema fallen ließen, weil dies in der EG / EU unerwünscht war. Also vereinnahmte er es, zumal ein erheblicher Teil der Bevölkerung da ansprechbar war. Die FPÖ wurde zur Österreich-Partei, obwohl ein nicht geringer Teil ihres Kerns damit Schwierigkeiten hatte. Das ist ein weitverzweigtes Thema. Wir wollen es besser ein anderes Mal für sich ansehen. Denn das ist ernsthafter als ein etwas dümmlicher Wahlkampf-Ausritt.

Doch auf einen Punkt gilt es einmal hinzuweisen.

Frau Raab leistet ihren Auftritt als „Integrationsministerin“ einer „bürgerlichen“ Regierung. In der sind zwei Flügel der Mittel- und Oberschichten vertreten. Den altkonservativen verkörpert die ÖVP, die sich allerdings schon längst mit dem Neoliberalismus der 1970er, 1980er, 1990er und 2000er Jahre identifiziert. Den modischeren neuen Flügel eines intellektuell-autoritären Kurses stellen die Grünen dar. Beide Strömungen können sich sehr gut auf ein bestimmtes Thema einigen und konvergieren in einem politischen Manöver, identifizieren einen gemeinsamen großen Feind: Sie nennen ihn den politischen Islam.

Und sie bilden die Regierung, obwohl nicht einmal mehr ein Drittel der Bevölkerung hinter ihnen steht. Daher haben sie die Möglichkeit, den gesamten Hegemonie-Apparat einzusetzen. Den kontrollieren sie wirklich, in der einen und der anderen Weise: Accademia, also die Institutionen der Universitäten und der außeruniversitären Forschung; das Schulsystem.

Hier sehen wir etwas, was der ganzen Chose einen spezifischen Aspekt gibt,, ja einen wirklichen haut goût verleiht: Sie setzen Kompradoren ein.

Kompradoren? Was ist das? In der britischen Kolonialgeschichte hat man damit Menschen bezeichnet, Einheimische, welche sich für bescheidene aber doch irgendwie unentbehrliche Dienste den Machthabern zur Verfügung stellten. In der Imperialismus-Analyse und -Theorie hat der Ausdruck dann eine allgemeinere Bedeutung erfahren. Die Kompradoren-Bourgeoisie übernahm es, in ihren eigenen Gesellschaften die Strukturen und „Werte“ der imperialen Zentren durchzusetzen. Man sollte ausdrücklich die einheimischen Bürokraten in diese Kategorie hineinstellen. Und wir sollten einen neuen Begriff prägen: die Kompradoren-Intellektuellen.

Die neue Entwicklung und insbesondere die Einwanderung aus der Dritten Welt, die schon seit Jahrzehnten in bescheidenerem Ausmaß stattfindet, bahnte hier einen neuen Prozess an. Sehen wir uns in Österreich etwas um! Wer führt das Institut für islamische Theologie an der Universität Wien? Wir lesen die Namen Handan Aksünger-Kizil oder Ednan Aslan, usf. Neugierig geworden, steigt man in die Lebensläufe ein. Alle haben sie ihre Ausbildung und ihren Abschluss an westlichen Universitäten gemacht. Dazu kommen die anderen Institutionen. Da gibt es eine Dokumentationsstelle Politischer Islam. Deren Führung liegt offenbar noch in den Händen hiesig Geborener. Aber im Beirat findet man wieder Namen wie Mouhanad Khorchide, zwar noch in Beirut geboren, aber im Westen aufgewachsen. Sie haben sich „gegen politischen Extremismus“ empfohlen.

Ich würde übrigens anregen, dass sich Leute damit auseinandersetzen, die tiefer im Thema drinnen stehen und vielleicht auch über informelle Beziehungen Bescheid wissen.

Diese Strategie sich mit intellektuellen Kompradoren zu umgeben, wird übrigens auch anderswo gern angewandt. In der NZZ (Neue Zürcher Zeitung, eine schweizerische „Qualitäts-Zeitung“ für die dortige Obere Mittelschicht) findet man in den letzten Monaten fast täglich einen Artikel eines emigrierten Russen, oft auch Ukrainers, der von Speichel nur so trieft – na, man muss sich sein Leben im Westen verdienen.

Die Ministerin Raab hat eine steile Karriere hinter sich, wie vorher schon erwähnt. Sie ist noch jung. So will sie sich offenbar allen möglichen Koalitionspartnern empfehlen. Diese Karriere soll doch nicht plötzlich einen Knick bekommen oder abreißen.