„Daher ist Jacques Baud für Handlungen oder politische Maßnahmen, die der Regierung der Russischen Föderation zuzurechnen sind und die die Stabilität oder die Sicherheit in einem Drittland (Ukraine) untergraben oder bedrohen, durch die Beteiligung am Einsatz von Informationsmanipulation und Einflussnahme verantwortlich, setzt diese um oder unterstützt sie.“
Mit diesen wenigen Zeilen in behäbigem Beamtendeutsch formuliert setzt Brüssel den Schweizer Militärstrategen und Autor Jacques Baud am 15. Dezember 2025 auf die EU-Sanktionsliste. Die Folgen für ihn sind dramatisch: Der in Brüssel lebende Baud hat ab sofort keinen Zugriff mehr auf seine Konten, alle Vermögenswerte in der EU werden konfisziert, er darf Belgien nicht verlassen und jede Hilfestellung durch Freunde oder Verwandte wird strafrechtlich – als Sanktionsbruch – verfolgt.
In der äußerst knapp gehaltenen „Durchführungsverordnung (EU) 2025/2568 des Rates vom 15. Dezember 2025 über restriktive Maßnahmen angesichts der destabilisierenden Aktivitäten Russlands“ wird seine vollständige Blockierung mit zwei Sätzen begründet: Er sei „regelmäßig Gast in prorussischen Fernseh- und Radioprogrammen, (…) und verbreitet Verschwörungstheorien, indem er beispielsweise die Ukraine bezichtigt, ihre eigene Invasion herbeigeführt zu haben, um der NATO beizutreten.“ Beides bestreitet Baud und weist darauf hin, dass er in all seinen Schriften ohne russische Quellen arbeitet und peinlich darauf achtet, seine EU-kritische Analyse nicht von russischer Seite instrumentalisieren zu lassen. Deshalb lehnt er es grundsätzlich ab, russischen Medien Interviews zu geben.
Um eine Beweisführung zu den Vorwürfen geht es freilich nicht, denn es wäre zurzeit auch nicht strafbar, in „prorussischen Fernsehprogrammen“ aufzutreten oder der Ukraine Schuld am russischen Einmarsch zu geben. Tatsächlich vermeidet ja gerade die Sanktionierung von Personen eine gerichtliche Auseinandersetzung in einem rechtsstaatlichen System, in dem Tatbeständen nachgegangen und Täter freigesprochen oder verurteilt werden. Das Sanktionsregime ist eine außergerichtliche Zwangsmaßnahme. Sie erfolgt ohne Verfahren, ohne Anklage, ohne Anhörung, ohne Verteidigung und vollzieht sich im Rahmen einer „Durchführungsverordnung“, unterzeichnet von der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas.
Mit Ende 2025 befinden sich über 2700 Personen und Organisationen auf EU-Sanktionslisten. Die allermeisten davon sind russische Staatsbürger, aber auch viele Menschen aus Zentralasien, dem Nahen Osten, China und Afrika werden gelistet. Als Grund führt die Europäische Union fast immer ihre tatsächliche Unterstützung oder eine von Brüssel behauptete Parteinahme für Russland im Ukraine-Krieg an. Für all jene, die ihren Lebensmittelpunkt außerhalb Europas haben, bedeutet eine Sanktionierung den Verlust von eventuellen Vermögenswerten in der EU sowie Einreiseverbote und möglicherweise Schwierigkeiten im Zahlungsverkehr. Ihre Existenz ist jedoch nicht gefährdet, der Arm Brüssels ist zu kurz, um beispielsweise auf Konten in Russland oder sonst wo zugreifen zu können.
Anders verhält es sich mit europäischen Staatsbürgern, wobei die Schweiz, Serbien und Bosnien-Herzegowina Ausnahmen darstellen, weil sich die beiden Länder nicht an den entsprechenden EU-Sanktionen beteiligen. Jacques Baud wäre also in seiner Heimat Schweiz nicht materiell blockiert, unterliegt aber aufgrund seines Wohnsitzes in Belgien dem EU-Diktat, das ihm eine Ausreise verbietet.
EU-Bürger: Ausgestoßen und entrechtet
EU-Staatsangehörige gehen nach einer Listung all ihrer bürgerlichen Rechte verloren. Um z.B. in Deutschland überleben zu können, müssen sie bei einer eigens eingerichteten Stelle bettelnd vorstellig werden, damit sie die Freigabe gewisser Mittel vom eigenen Konto erwirken, um die Miete bezahlen und Nahrungsmittel einkaufen zu können. Ob der Betrieb eines eigenen Fahrzeuges oder der Erwerb einer Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr ermöglicht wird, obliegt möglicherweise der Willkür des zuständigen Beamten.
Jacques Baud ist der zweite Schweizer nach Nathalie Yamb, den die EU zur Unperson gemacht hat. Neben den beiden gingen bislang fünf EU-BürgerInnen durch die Sanktionierung all ihrer Rechte in der Heimat verlustig: ein Slowake, drei Deutsche und ein Franzose.
Auffallend ist der anti-russische Furor, mit dem Ursula von der Leyen und Kaja Kallas im Auftrag des EU-Rates die Sanktionierung betreiben. Allen Gelisteten wird – direkt oder indirekt – vorgeworfen, die russische Sicht auf die Welt zu verbreiten und/oder im Dienste Russlands zu agieren, mithin – wie es überall fast wortgleich heißt – „die Sicherheit (der Ukraine und der Europäischen Union) zu untergraben und Desinformation zu verbreiten.“ Man wähnt sich bei der Lektüre der Verordnungen an der Heimatfront im Krieg mit Russland, obwohl ein solcher weder von der EU noch von einzelnen Nationalstaaten in Europa ausgerufen wurde.
Sanktioniert werden übrigens politisch sehr unterschiedlich auftretende Personen. Das reicht von der antiimperialistischen Schweizerin Nathalie Yamb oder ihrem bürgerlich-konservativ Landsmann Jacques Baud über Russland-affine Blogger wie den Franzosen Xavier Moreau und die beiden Deutschen Thomas Röper und Alina Lippbis zum linksradikalen Kreml-Kritiker und Palästina-Aktivisten Hüseyin Doğru.
Moreau, Röper und Lipp leben als EU-Staatsbürger in Russland und versorgen von dort die interessierte französisch- bzw. deutschsprachige Öffentlichkeit mit der russischen Erzählung des Ukraine-Konflikts, wobei Moreau und Röper mit ihren Plattformen stratpol.com bzw. anti-spiegel.ru auch geopolitische Analysen anbieten. Lipps neuesausrussland.com war vor allem in den Jahren 2022 bis 2024 aktiv und brachte Reportagen von der anderen Seite der Front, namentlich aus dem Donbass.
Nathalie Yamb besitzt neben der Schweizer auch die Staatsbürgerschaft Kameruns. Sie lebt großteils in Afrika, war Pressesprecherin des ghanaesischen Präsidenten Jerry Rawlings und unterstützt aktiv die neue, anti-französisch ausgerichtete Regierung von Ibrahim Traore in Burkina Faso. Sie ist gern gesehener Gast auf Diskussionsforen in Russland und erreicht mit ihren Videos (https://www.youtube.com/watch?v=OIflVD6H74E) Hunderttausende.
Der türkisch-stämmige Deutsche Hüseyin Doğru schlägt aus der Reihe der bisher Genannten. Anders als diese kritisiert er die Politik des Kreml aus einer konsequent maoistisch-antiimperialistischen Perspektive. Die Begründung für seine Sanktionierung liest sich besonders abenteuerlich. Weil Doğru auf seinem mittlerweile geschlossenen Portal Red.Mediaanti-zionistischen Stimmen aus dem arabischen Raum viel Platz einräumte und mit sichtbarer Sympathie von pro-palästinensischen Kundgebungen in Deutschland berichtete, wird im aus Brüssel vorgeworfen, „systematisch falsche Informationen über politisch kontroverse Themen zu verbreiten, mit der Absicht, unter seinem überwiegend deutschen Zielpublikum ethnische, politische und religiöse Zwietracht zu säen, unter anderem durch die Verbreitung der Narrative über radikalislamische terroristische Gruppierungen wie die Hamas.“ Dies, so die Brüsseler Granden, die seine Tätigkeit indirekt einer russischen Destabilisierungsstrategie zuschreiben, „unterstützt Hüseyin Doğru daher Handlungen der Regierung der Russischen Föderation, die die Stabilität und Sicherheit in der Union und in einem oder mehreren ihrer Mitgliedstaaten untergraben und bedrohen, einschließlich indem er gewaltsame Demonstrationen indirekt unterstützt und erleichtert und koordinierte Informationsmanipulation betreibt.“
Hüseyin Doğru ist neben Jaques Baud der zweite Sanktionierte, der seinen Lebensmittelpunkt in der EU hat und hier festgesetzt ist.
Bleibt noch vom Slowaken Jozef Hambálek zu berichten. Er war als erster EU-Europäer bereits im Juli 2022 auf das 7. Sanktionspaket gesetzt worden, weil er der Europa-Präsident der russischen Motorrad-Gang „Nachtwölfe“ war. Diese mehrere Zehntausend Biker starke Gruppe fiel in den 2010er Jahren damit auf, in Gruppen zu 20 bis 30 reich geschmückten Maschinen den Tag des sowjetischen Sieges über die Nationalsozialisten am 9. Mai vor entsprechenden Denkmälern in Berlin und Wien zu feiern. Der EU waren ihre Umtriebe zu heftig und wohl auch zu laut, außerdem verdächtigte Brüssel die Biker, die russische Armee in der Ukraine zu unterstützen.
Hambálek ist wohl der ungewöhnlichste EU-Sanktionierte. Nicht deshalb, weil ihm Brüssel – wohl zurecht – eine prorussische Haltung zuschreibt, sondern weil er es schaffte, von der Sanktionsliste gestrichen zu werden. Eigentlich war dies nicht sein Verdienst, obwohl der Biker in der Slowakei eine gehörige Fangemeinde organisierte und politische Druck auf die Regierung in Bratislava ausübte. Dies zahlte sich für ihn aus, als im Dezember 2023 Robert Fico von der Smer-Partei ins Ministerpräsidentenamt gewählt wurde. Seit damals ließ Fico keine Gelegenheit bei seinen Besuchen im Westen aus, um sich darüber bei Olaf Scholz und Ursula von der Leyen zu beschweren. Er verstehe nicht, warum ein slowakischer Staatsbürger auf einer EU-Sanktionsliste aufscheine, „nur, weil der Motorrad fahre“, so Fico im Originalton. Am 13. März 2024 konnte Robert Fico stolz vermelden, dass Jozef Hambálek von der Sanktionsliste gestrichen wurde.
Während sich also in der Slowakei der Ministerpräsident für seinen Staatsbürger in Brüssel einsetzt, hat es bei den deutschen und dem französischen Sanktionierten den – umgekehrten – Anschein, diese würden die Stichworte für deren Sanktionierung gegeben haben.
Von Hannes Hofbauer erscheint im März 2026 zum Thema das Buch „Aller Rechte beraubt. Mit außergerichtlichen EU-Sanktionen zum autoritären Staat“ (Promedia Verlag, Wien)
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202502568 (30.12.2025)
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:L_202500966 (30.12.2025)
Verfasst für "Stimmen für Neutralität"