In der österreichischen Bevölkerung ist die im Staatsvertrag von 1955 verankerte „immerwährende Neutralität“, die dem Land seine Selbständigkeit zurückgab, tief verankert. Zumindest seit der Wende 1989/91 haben die Herrschenden systematisch die Annäherung an die NATO betrieben. Doch formal gelang ihnen der Anschluss bis heute nicht – einzig wegen des massiven Widerstands aus der Bevölkerung. Aber sie hören ihre Wühlarbeit gegen die Verfassung nicht auf. Erst kürzlich wieder hat die ultrazionistische Außenministerin Meindl-Reisinger sowie der ehemalige Generalstabschef General Brieger für ein Nachdenken über den NATO-Beitritt plädiert und die Neutralität für obsolet erklärt.
Doch im Gegensatz beispielsweise zu den skandinavischen Ländern hat die durch die NATO-Ostexpansion und die Übernahme der Ukraine in die westliche Kontrollsphäre hervorgerufene Eskalation des Krieges gegen Russland die Zustimmungswerte zur Neutralität sogar noch weiter erhöht.
Die Neutralität ist nicht nur eine Verfassungsbestimmung, es ist die Quintessenz der Zweiten Republik, ja der nationalen Identität.
Es darf nicht vergessen werden, dass mit dem Zerfall des Vielvölkerstaates nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg von sehr vielen das kleine Österreich von Gnaden der Entente als nicht lebensfähig erachtet wurde. Auch die Linke strebte im Sinne der niedergeschlagenen demokratischen Revolution von 1848 den Anschluss an Deutschland an.
Das änderte sich erst ab dem Februar 1934. Da führten die Christlichsozialen einen Staatstreich gegen die Arbeiterbewegung durch, auch um den schon in den Startlöchern stehenden Nazis zuvorzukommen. Es war die verbotene KPÖ und, mit ihr, gewichtige Teile der im Untergrund operierenden Arbeiterbewegung, die die Führerschaft in Kampf für die Selbständigkeit Österreichs anstrebte. Man wollte alle gesellschaftlichen Kräfte, die gegen den Anschluss an Nazi-Deutschland waren, ins Feld führen.
Österreichs Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg war überhaupt nicht ausgemacht. Die UdSSR bot nach der von den USA forcierten Spaltung Deutschlands als Gegenmodell die Selbständigkeit an, unter der antifaschistischen Bedingung, sich nie mehr dem großen Nachbarn anzuschließen. Also keine Beteiligung mehr an imperialistischen Raubkriegen und Völkermorden. Die Neutralität meinte vor allem keine Aggression mehr gegen Russland, auch nicht unter der Führung der Sieger in Washington.
Das Bürgertum schwankte, denn es wollte die Westbindung, aber nahm die einmalige Gelegenheit dann doch wahr. Erst der Aufschwung der Nachkriegszeit und vor allem die „goldenen Zeit“ der keynesianischen 1970er Jahre unter Bruno Kreisky ließ den Deutschnationalismus verschwinden.
Österreich war als Nation von der Bevölkerung in überwältigender Weise angenommen wurden. Die Unterstützung ruhte auf der Basis des gezähmten Kapitalismus mit sozialem Ausgleich und gelenkter Partizipation nach innen, sowie einer Imperialismus-dämpfenden Außenpolitik nach außen. Diese bestand in der bahnbrechenden Kooperation mit dem Ostblock und der UdSSR („Ostpolitik“), sowie die Anerkennung der PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes.
Nur mehr die FPÖ hielt an der Zugehörigkeit zur deutschen Nation fest und drohte damit zur Marginalie zu werden.
Mit dem Neoliberalismus und der Globalisierung vollzogen die Eliten eine radikale Kehrtwende, die am besten in der Schuldfrage dargelegt werden kann. Vom Opfer des Nationalsozialismus wurde Österreich nun zum Täter erklärt – vorher und nachher natürlich kollektiv, um die Verantwortung der kapitalistischen Eliten zu verschleiern. Das einfache Volk wurde zur eigentlichen Gefahr stilisiert, das nochmals der „Re-eductation“ (ursprünglich das Programm der US-Militärverwaltung) unterzogen werden müsste. Antifa transformierte man zum Herrschaftsinstrument und die historische Linke wurde in den linksliberalen Ideologieapparat eingesaugt. Der progressive Inhalt der österreichischen Nation konnte so mit einer vermeintlich linken Begründung entsorgt werden.
Im Beitritt zur EU kam das alles zusammen, nämlich entfesselter Kapitalismus, radikaler Abbau der demokratischen Rechte und Beteiligung am westlichen Imperialismus. Die Anschlussbedingungen wurden von der EU klar formuliert: weg mit Sozialstaat und Neutralität.
Um das der Bevölkerung verdaubar zu machen, formulierte man den „Neutralitätsvorbehalt“. Von der EU wurde das belächelt, aber man verstand, dass man dem österreichischen politisch-medialen Komplex bei der Verschleierung helfen musste. So konnte man dennoch bei den permanenten Anstrengungen der EU für politisch-militärische Zentralisierung mitmachen, es aber gleichzeitig als mit der Neutralität vereinbar umdeuten. Nicht nur akzeptierte man alle Souveränitätsverluste, die Schritt um Schritt mit den immer radikaleren EU-Verträgen erzwungen wurden, wie die Beistandsverpflichtungen, gemeinsame Truppen und Rüstung, sondern man unternahm auch einige Verfassungs- und Gesetzesänderungen, um beispielsweise NATO-Truppentransporte durch Österreich legal zu machen – die ein enormes Ausmaß angenommen haben. Dazu kam noch Fleißaufgaben, wie die Beteiligung an der „NATO-Partnership for Peace“ (PfP) oder auch die militärische „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ der EU (PESCO), der laut EU-Verträgen nicht einmal zwingend gewesen wäre.
So war Österreich dann auch bei jeder imperialistischen Schweinerei dabei. Angefangen vom Krieg gegen Jugoslawien, wo einige sogar von der Einverleibung Sloweniens träumten; bei der NATO/EU-Osterweiterung, bis hin zum heutigen Krieg in der Ukraine gegen Russland; beim US-„Krieg gegen den Terror“ zum Abbau demokratischer Grundrechte; und natürlich bei der bedingungslosen Unterstützung des zionistischen Kolonialismus und seiner Apartheid – alles wider Buchstabe und Geist der Neutralität.
In dem Maße, in dem die (links)liberalen Eliten die Neutralität und den positiven Bezug zur österreichischen Nation aufgaben, sprang die FPÖ ein. Die konnte zur Massenpartei aufsteigen, weil sie zumindest nach außen hin den Deutschnationalismus ablegte und zum zuvor so verhassten Österreichpatriotismus überging – während die Linke die Globalisierung und das Ende des Nationalismus feierte (unter der alleinigen Vorherrschaft der USA). Allgemeiner Unmut darüber aber auch soziale Opposition dagegen, wurde damit sehr schnell ins rechte Eck gestellt. Das Herrschaftssystem der Brandmauer ward geboren: gegen die vermeintliche rechte Gefahr (und den Populismus, also das einfache Volk) müsse unter allen Umständen der (Links)liberalismus (also die transatlantisch-kapitalistischen Eliten) unterstützt werden. Damit löste sich die historische Linke auf und wurde als Schatten ihrer selbst ins System eingemeindet.
Doch wir sind an einem Punkt angelangt, wo dieses Regime zu kollabieren droht. Während der US-Präsident einen Kompromiss mit Russland versucht, setzt die EU auf die Eskalation für den totalen Sieg über Russland. Die Bundesregierung und der Bundespräsident sekundieren. Gleichzeitig unterstützen sie den israelischen Völkermord an den Palästinensern (zum Beispiel durch die Aussetzung der Zahlungen an des UN-Hilfswerks UNRWA auf Geheiß von Israel). Das wird kombiniert mit massiven sozialen Angriffen, auch weil die USA für die Verteidigung ihrer globalen Vorherrschaft zum Wirtschaftskrieg übergehen und das Freihandelsregime nicht mehr respektieren, dessen extremster Ausdruck die EU selbst ist. Um die Macht der neoliberalen Eliten gegen die wachsende Opposition zu erhalten, kommt es allerorts zur autoritären Panzerung, dessen extremstes Beispiel die Verfolgung der Solidaritätsbewegung mit Palästina ist. Das Offensichtliche soll unausgesprochen bleiben: „Nie wieder“ eine funktionale Lüge der Herrschenden, um Imperialismus und Krieg „antifaschistisch“ anzustreichen. Ihr Gerede von den überlegenen „westlichen Werten“ kann nur mehr als offener Rassismus funktionieren, der universale demokratische Anspruch wird immer unglaubwürdiger.
Eine zu erwartende Variante des Machterhalts ist die Domestizierung der populistischen Rechten. Das hatte bei der FPÖ bis dato gut funktioniert. Doch mit Trump im Rücken und den Schwierigkeiten an der russischen Front hat sich FP-Chef Kickl nicht dafür hergegeben. Er hat sich zum Champion der Neutralität gemacht und erhält dafür breite Unterstützung weit über seine klassische Klientel hinaus.
(Eine extremere Variante wäre der Angriff der Eliten auf das parlamentarische System überhaupt, auf die wir uns im Falle des weiteren Abgleitens in den Weltkrieg vorbereiten müssen – siehe Südkorea.)
Nun rührt sich auch seit vielen Jahrzehnten erstmals wieder eine demokratische und soziale Opposition, beginnend mit der Bewegung gegen den Corona-Autoritarismus, über die Ablehnung der Russland-Sanktionen bis hin zum Aufschrei gegen den israelischen Völkermord. Unter dem Namen „Stimmen für Neutralität“ versucht ein Bündnis das unter den Losungen Frieden, Neutralität und Österreichs Souveränität auf der Straße politisch zu repräsentieren (während die FPÖ lediglich den politisch-medialen Raum bespielen will, vielleicht auch nicht anders kann, sich offensichtlich vor den Konsequenzen einer Massenmobilisierung fürchtet). Inhaltlich immer mit dabei sind die Forderungen nach Erhalt der akut gefährdeten demokratischen Grundrechte sowie nach sozialer Gerechtigkeit.
Die Neutralität steht dabei als pars pro toto, letztlich für die gesamten Errungenschaften der Zweiten Republik. Um die Wende herum war die FPÖ offen für eine Dritte Republik eingetreten. Dagegen vereinigte sich der Liberalismus, nur um selbst zum Motor genau dieser Dritten Republik als Provinz des US-Empires zu werden.
Als Kraft für die Neutralität, den Frieden, die Volkssouveränität verteidigen wir das verlorene Paradies (zu dem in der Bevölkerung die 70er nachträglich verklärt wurden und sich so zur progressiven nationalen Identität verwandelten), wissend, dass dies im Gegensatz zu damals die Bereitschaft zum Bruch mit den kapitalistischen Eliten erfordert. Zu welchen Gräuel diese zum Erhalt ihrer Macht fähig sind, zeigt ihr genozidales Idol Netanyahu. Gegen die Herrschenden, die in präzedenzloser Weise die nationalen Interessen verraten, verfolgen wir ein Programm zur Verhinderung des Dritten Weltkriegs, in den uns die EU-Eliten mit aller Gewalt hineinzuführen versuchen. Dazu müssen wir die nationale Souveränität Österreichs zurückerobern – und zwar über die Plattform der Neutralität.
www.selbstbestimmtes-oesterreich.at
www.stimmenfuerneutralitaet.at